Matratzen kaufen ist zum Heulen. Zum Glück muss man da auch nur alle 8 bis 10 Jahre durch. Da stehst du im Laden vor 100 unterschiedlichen Modellen und sollst dich entscheiden, was deinen Schlaf in den nächsten 10 Jahren ausmachen wird. Ein Duftwelle von Huge Boss kündigt das Unheil an. Bevor du es schaffst die Flucht zu ergreifen, stehet der Verkäufer vor dir mit seinem überbreiten Grinsen und der Lederkrawatte und schüttet dich mit Details zum neuen Memoryschaum FlexoTec 2000 zu. I couldn’t care less! Ich will einfach nur eine gute Matratze. Und in den gängigen Online-Shops ist das Erlebnis – mal abgesehen von der fehlenden Lederkrawatte – nicht besser. Unendliche Auswahl und keiner kann dir sagen, ob das, was du dir da für teures Geld kaufst auch das hält, was es verspricht.

Das Casper Erlebnis

Dieses Mal war ich schlauer. Bevor ich mir dieses Szenario angetan habe, habe ich – in der Hoffnung in den letzten 10 Jahren hätte sich der Matratzenmarkt eventuell auch verändert – in Google “gut schlafen Matratze” eingegeben. Gelandet bin ich so bei Casper. Begrüsst wurde ich auf Schwiitzerdütsch. Sympathisch. Und da war er. Ein Call to Action mit der Aufforderung “zur Matratze”. Singular?! Hatten die tatsächlich nur eine Matratze im Programm? Wie geil. Also drauf klicken. Auf der nächsten Seite erfuhr ich, dass ich die Matratze ganze 100 Tage ausprobieren konnte, sie mir nach Hause geliefert und – im Falle, dass sie mir nicht gefällt – wieder bei mir abgeholt würde. Kostenlos. Und das Ding kostet keine 1000 Stutz.  Da kann man wohl nicht viel falsch machen, habe ich mir gedacht und sie prompt bestellt. Fünf Minuten hat das alles in allem gedauert. Drei Tage später war sie da.

 

Bedürfnisse verstehen, operationalisieren und digital skalieren

Casper hat sein Geschäftsmodell von Anfang an konsequent auf die Bedürfnisse der Menschen aufgebaut. Sie haben verstanden, dass die Menschen einfach nur gut schlafen wollen. Das ist das einzige Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen sie aber weder mit 100 Modellen konfrontiert werden, noch sich mit technischen Details auseinandersetzen, die sie kognitiv sowieso in keinerlei Verbindung zur effektiven Schlafqualität bringen können. Vielmehr bewegt sie die Angst das falsche Produkt zu wählen, da sie nach 10 Minuten Probeliegen im Laden keine Garantie haben, dass sie tatsächlich eine Matratze haben, auf der sie langfristig gut schlafen.

Diesen Nutzerkontext haben die Gründer von Casper in ein Geschäftsmodell übersetzt und operationalisiert. Es gibt nur eine Matratze. Der Kostenpunkt liegt unter der magischen Grenze (durch Nutzerbefragungen und Datenanalyse eruiert) von 1000 Dollar. Vertrieben wird sie ausschliesslich online und man kann sie ganze 100 Tage testen, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich passt. Sie wird kostenlos geliefert und gegebenenfalls wieder abgeholt. Der gesamte Prozess ist digitalisiert.

 

Gesamterlebnis als Kern der Geschäftes

Die Leute bei Casper sehen nicht das Produkt sondern das Erlebnis im Vordergrund ihrer Businessstrategie. Bezeichnend für diese konsequente Haltung ist die Aufstellung der Firma. 60% der Angestellten sind im Bereich Customer Experience und Customer Care tätig, weitere 30 % in der digitalen Abteilung und nur ganz wenige in der eigentlichen Produktentwicklung. Machen wir uns nichts vor: das Produkt an sich ist weder eine Revolution noch eine besondere Innovation. Es wurde aber konsequent aus der Sicht der Kunden entwickelt. Man hat 16 Monate lang an der Schaumstoff-Kombination getüftelt und ein Produkt entwickelt, das schliesslich dem Grossteil der Testpersonen gefiel. Die Menschen wurden gezielt und von Anfang an nicht nur in den Produktentwicklungsprozess mit einbezogen, sondern auch bei der Entwicklung der Prozesse und der internen Workflows. Und die Zahlen geben ihnen recht. Im ersten Monat haben sie die 1 Million Dollar Umsatz Marke geknackt und damit Venture Capital von über  70 Mio. Dollar an Land gezogen. Mittlerweile beschäftigen sie über 120 Mitarbeiter und erwirtschaften über 100 Mio. Dollar Umsatz.

 

Und dann digital sklaiert

Eine Aussage von Casper CCO Neil Parikh im Interview mit inc.com ist bezeichnend für das Selbstverständnis der Firma. Er sagt, Casper verstehe sich als Tech Company und nicht als Produktehersteller. Sie haben tatsächlich enormen Aufwand in die Digitalisierung gesteckt und eigene Tools gebaut, um den gesamten Prozess von den Rohmaterialien bis zur Auslieferung beim Kunden minutiös tracken zu können. Alle Daten laufen zusammen und geben realtime Informationen für Optimierungen, Forecasts und Weiterentwicklungen.

Über das Customer Care Centre hat man im Laufe der Zeit eine riesige Community aufgebaut, die das Unternehmen mit Insights und Daten beliefert (einige Kunden liefern sogar freiwillig Sleep Tracker Daten). Die Kunden selbst sind Teil des Produktentwicklungsprozesses.

 

Was können wir davon lernen?

Viele Branchen und Industrien sind nach wie vor nicht bereit ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Sie versuchen zwar kundenzentriert neue Services zu etablieren, sind aber nicht bereit ihr grundsätzliches Geschäftsmodell und ihre Produkte im Kern zu ändern. Gutes Beispiel dafür ist meiner Meinung nach die Versicherungsbranche oder die Finanzbranche. Sie giessen weiterhin alten Wein in neuen Schläuchen.

Wir müssen da hin kommen, dass wir unsere Geschäftsmodelle in den einen Nutzerkontext bringen, um Wachstum zu generieren und nicht versuchen einen Kundenkontext um unser Geschäftsmodell zu stricken. Wir müssen die Kundenbedürfnisse operationalisieren, um sie laufend optimieren zu können und digital skalieren zu können. Und wir müssen unser Geschäftsmodell in den Daten abbilden können, um faktenbasiert Entscheidungen treffen zu können, Vorhersagen zu machen und Optimierungen zeitnah umzusetzen.